Risale-i Nur Erstes Wort

 

Erstes Wort - Bismillah (Im Namen Allahs)

Bediüzzaman Said Nursi.

 

Bismillah[1] ist der Beginn alles Guten.[2] Auch wir beginnen mit ihm.

Wisse, oh meine Seele! So wie dieses gesegnete Wort ein Symbol des Islam ist, so ist es unausgesprochen auch ein immerwährendes Gebet der gesamten Schöpfung.

Willst du verstehen, was für eine unerschöpfliche Kraft und welch ein nicht enden wollender Segen Bismillah ist, so betrachte und höre dieses Gleichnis. So ist es: Wenn ein Beduine eine Reise durch die Sahara unternehmen will, so tut er gut daran, sich unter den Schutz eines Stammesfürsten zu begeben, und die Fahrt in dessen Namen zu beginnen, damit er vor den Nachstellungen der Räuber bewahrt seine Angelegenheiten regeln kann. Ansonsten, wird er alleine, angesichts unzähliger Feinde und Bedürfnisse völlig durcheinander geraten.

Nun zogen einmal zwei Männer zu einer Reise in die Sahara hinaus. Der eine von ihnen war ein bescheidener Mann, der andere aber hochmütig... Der Bescheidene erbat den Schutz eines Fürsten und reiste unter dessen Namen, der Stolze aber nicht... Der Erste bewegte sich überall in Sicherheit. Begegnete ihm ein Straßenräuber, so sagte er nur: „Ich reise unter dem Namen des Fürsten von Soundso.“ So lässt ihn der Räuber weiterziehen und geht. Trat er in ein Zelt ein, ward er unter diesem Namen in Ehren aufgenommen. Der andere aber in seinem Stolz geriet auf der ganzen Reise in solche Schwierigkeiten, wie man sie kaum beschreiben kann. Er zitterte und bettelte jederzeit. Er wurde verachtet und lächerlich gemacht.

Wohlan denn, oh meine hochmütige Seele! Dieser Reisende bist du. Was aber diese Welt betrifft, so gleicht sie einer Wüste. Deine Schwäche und Armseligkeit sind grenzenlos. Deine Feinde sind zahllos und deine Bedürfnisse unendlich. Weil das aber so ist, unterstelle dich dem Namen des Ewigen Besitzers (al-Malik al-Abadî) und Herrschers von Ewigkeit zu Ewigkeit (al-Hâkim al-Azalî) dieser Wüste, damit du davor bewahrt bleibst, in aller Welt betteln zu müssen und vor jedem Ereignis zu zittern...

In der Tat ist dieses Wort Bismillah ein so gesegneter Schatz, dass es für dich eine Beziehung zur unendlichen Macht und Barmherzigkeit herstellt und deine grenzenlose Schwäche und Armseligkeit am Hofe des allbarmherzigen Allmächtigen (Kadîr-i Rahîm) zu einem hochachtbaren Fürsprecher werden lässt. Wer nach diesem Wort handelt, gleicht einem Mann, der sich als Soldat rekrutieren lässt. Er handelt im Namen des Staates. Er braucht niemanden zu fürchten. »Im Namen des Gesetzes, im Namen der Regierung«, spricht er. Er erledigt jede Arbeit und überwindet jede Schwierigkeit.

Wie spricht die ganze Schöpfung Bismillah?

Wir haben am Anfang gesagt: Die ganze Schöpfung spricht ohne Worte Bismillah. Ist es so?

Ja. So wie du siehst, dass ein einziger Mann kommt, und die ganze Bevölkerung einer Stadt gewaltsam an einen Ort führt, und sie zur Arbeit zwingt. So weißt du mit Gewissheit: dieser Mann handelt nicht in eigenem Namen selbstständig und nicht mit seiner eigenen Macht. Er ist vielmehr ein Soldat, handelt im Namen des Staates, stützt sich auf die Macht eines Königs.

Genauso handeln alle Dinge im Namen Gottes, sodass Samenkerne und Körner, winzig klein wie Staubkörner, riesige Bäume auf ihrem Haupt tragen, Lasten gleich Berge emporheben. Das heißt also: Jeder Baum spricht Bismillah; er füllt seine Hände aus der Schatzkammer der Allbarmherzigkeit mit Früchten, streckt sie uns entgegen, bietet sie uns an.

Jeder Garten spricht Bismillah, er wird zu einem Kessel in der Küche der Macht, worin die verschiedensten Arten köstlicher Speisen gleichzeitig zubereitet werden.

All die segensreichen Tiere[3] wie Kuh und Kamel, Ziege und Schaf, sprechen Bismillah. Aus der Fülle des Erbarmens entsteht ein Brunnen von Milch. Sie bieten uns im Namen des Versorgers die feinste und reinste Nahrung gleich dem Wasser des Lebens an.

All die Pflanzen, Bäume und Kräuter sprechen mit ihren seidenweichen Wurzeln und Adern Bismillah. Sie durchdringen harte Steine und feste Erde. Sie sprechen »Im Namen Allahs, im Namen des Barmherzigen« und es unterwerfen sich ihnen alle Dinge.

In der Tat breiten sich ihre Äste in der Luft aus und tragen Früchte und ihre Wurzeln breiten sich mit der gleichen Leichtigkeit in der Erde aus, durchdringen den harten Stein und bringen unter der Erde ihren Ertrag hervor. Zudem bleiben ihre empfindlichen grünen Blätter auch noch in sengender Hitze monatelang frisch. Das alles ist den Naturalisten[4] wie ein Schlag ins Gesicht und bringt sie zum Verstummen, steckt ihnen den Finger zur Strafe in ihre verblendeten Augen und spricht zu ihnen: Auch die Härte und die Hitze, der du eine so große Macht zuschreibst, handeln unter göttlichem Auftrag, sodass diese seidenweichen Adern gleich dem Stab Moses dem Befehl „Schlage mit deinem Stab den Felsen!“ (Sure 2:60) gehorcht und die Felsen spalten. Und diese zarten Blätter, dünn wie Zigarettenpapier, gleichen jedes den Gliedern Abrahams (as)[5] als der Befehl Gottes gegen die glühende, sengende Hitze erging „Oh Feuer, sei kühl und friedlich!« (Sure 21:69)[6]

Da nun einmal jedes Ding dem Sinne nach Bismillah sagt und uns im Namen Allahs die Gnadengaben Gottes entgegenbringt und anbietet, müssen auch wir Bismillah sagen.

Im Namen Allahs müssen wir geben. Im Namen Allahs müssen wir entgegennehmen. Wenn dies aber so ist, dürfen wir von gottvergessenen Menschen, die nicht im Namen Allahs geben, auch nichts annehmen.

Was verlangt Allah für all Seine Gaben?

Wir bezahlen den Menschen, die uns ihre Waren anbieten, einen Preis. Doch welchen Preis verlangt Allah von uns, Der doch Der Wahre Eigentümer der Ware ist?

Es sind drei Dinge, die der Wahre Geber (al-Mun’im al-Hakikî) für Seine Gnadengaben als Preis von uns fordert. Erstens: Gottesgedenken (Dhikr), zweitens: Gott-Danken (Schukr), drittens: Reflexion (Fikr).[7]

Am Anfang steht das Gottesgedenken (dhikr) im Bismillah.[8] Am Ende steht das Danken (schukr) im Alhamdulillah.[9] Zwischen den beiden stehen Nachdenken und Begreifen, dass diese kostbaren Gnadengaben, die wunderbare Kunstwerke sind, Geschenke des Erbarmens, und Wunderwerke der Macht des Einen (Ahad) und Absoluten (as-Samad[10]) sind, bedeutet Reflexion (fikr).[11]

Jedoch einem Habenichts die Füße zu küssen, wenn er dir ein kostbares Geschenk eines Königs überbringt und dabei den Eigentümer des Geschenkes nicht zur Kenntnis zu nehmen, was für eine Dummheit wäre das!? Genauso wäre es, die äußerlich sichtbaren Spender zu loben und zu lieben, den wahren Geber aber zu vergessen, noch tausendmal törichter als dies.

Oh du meine Seele! Wenn du nicht so töricht sein willst, dann gib im Namen Allahs, nimm im Namen Allahs. Im Namen Allahs fange an. Im Namen Allahs führe zu Ende.

Und somit ist Frieden (Wassalam).[12]

 

[1] Bismillah bedeutet: „Im Namen Gottes“, steht aber als Kurzformel für Bismillahirrahmanirrahim (Im Namen Gottes des Allerbarmers des Allbarmherzigen [Sure 1:1]) (IAD)

[2] Viele Aussagen wie diese in diesem Wort basieren auf Hadithen wie: „Jede Angelegenheit, die nicht mit Gottesgedenken / Bismillahirrahmanirrahim begonnen wurde, ist unfruchtbar/ohne Ergebnis.“ (bei Ahmad/Rahawî); Hanbel, Musnad, 2:359; Tuhfat al-Ahwazî Scharh al-Dschamî al-Tirmidhî 1/9; al-Fath al-Kabir Bidammi az-Zadiyyat ilâ Dschami as-Saghir 2/4, 2/322; Nawawî, al-Azkâr s. 103; al-Hâfiz Abdalqâdir ar-Rahawî, al-Arbaîn; Nasai, Sunan al-Kubra, 6:127, 128; Ibn Hibban, Sahih, 1:173, 174; Abdurrauf al-Manawî, Kunûz al-Hakaik 1/97, 2/39.

[3] Tiere, die Gott zum Segen der Menschheit geschaffen hat

[4] Naturalismus ist eine philosophische Richtung, die nur die Natur als die gesamte Realität akzeptiert. Die Naturalisten leugnen übernatürliche bzw. transrationale Wesen wie Gott, Engel etc. und wollen die Natur ausschließlich mit Naturgesetzen, Ursachen etc. (also nur systemimmanent) erklären ohne eine übernatürliche Instanz wie Gott mit in Betracht zu ziehen.

Said Nursi widerlegt in seiner "Abhandlung über die Natur" mit absoluter Gewissheit den Naturalismus. Das Design, die Komplexität, die Perfektion, das Verhalten der Lebewesen, das unendliche Macht, Wissen und Wille eines Schöpfers erfordern, können Naturalisten nicht erklären. (IAD)

[5] Um das Lesen zu erleichtern haben wir die Segensformel (Salawat) auf den Propheten Muhammad mit saw (Allah segne ihn und schenke ihm Frieden) und auf die übrigen Propheten mit sa (Allah schenke ihm Frieden) abgekürzt. Der Leser möge sich durch die Abkürzung daran erinnern. (IAD)

[6] Hiermit meint Nursi, dass die Pflanzen und Tiere mit ihrem "übernatürlichen" Verhalten einerseits und mit ihren wundervollen Eigenschaften und Fähigkeiten andererseits, sowohl den Naturalismus widerlegen, als auch auf die Existenz eines Allmächtigen, Allwissenden und Allweisen hinweisen, Der sie erschuf und mit erforderlichen Fähigkeiten ausgestattet hat. Die Lebewesen können sich nicht selbst erschaffen haben und auch zufällige Prozesse in der Natur können sie nicht zur Existenz gebracht haben. Folglich müssen sie mit all ihren Fähigkeiten und Eigenschaften logischerweise auf den Befehl (Sei!) eines Schöpfers, Der Wissen, Macht und Wille besitzt, zur Existenz gekommen sein. (IAD)

[7] Diese Aussage basiert auf folgenden Hadithe: Imam Suyutî, Tafsir ad-Durr al-Mansur 1/12, 2/103 (Ibn Abbas); Daylami, Musnad al-Firdaws, 2/74.

[8] Hadithe, die auffordern zur Beginn des Essens Bismillah zu sprechen, sind zahlreich,  z.B. „Wer von euch was ist, soll in Gottesnamen beginnen.“. (Imam Nawawî, al-Azkâr s. 205-207; Abu Dawud; Hasan-Sahih nach Tirmidhî)

Und ein Vers der Gnade Allahs zu gedenken:

O ihr Menschen, gedenkt der Gnade Allahs gegen euch. Gibt es einen Schöpfer außer Allah, der euch vom Himmel und von der Erde her versorgt? Es ist kein Gott außer Ihm. Wie könnt ihr euch da (von Ihm) abwenden? [35:3]

[9] „Wer gegessen hat und daraufhin Alhamdulillah sagt (Gott dankbar ist)…“ (Mischqat al-Masabih 2/476, Hadith Nr. 3434) und siehe Sure an-Nahl, 16:114.

[10] As-Samad = Der Unabhängige, Der nichts und niemanden bedarf und dessen alle und jedes bedarf. Alles ist abhängig von Ihm, Er ist die eigentliche Ursache aller Wirkungen.

[11] Zum tiefen Nachdenken rufen neben zahlreichen Hadithen auch viele Verse auf, siehe z.B. Suren 25:62, 40:13. Der folgende Vers ist sehr beeindruckend:

Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Wechsel der Nacht und des Tages, liegen wahre Zeichen für die Verständigen, die Allahs gedenken im Stehen und im Sitzen und (Liegen) auf ihren Seiten und über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachdenken (und sagen): "Unser Herr, Du hast dieses nicht umsonst erschaffen. Gepriesen seist Du, darum hüte uns vor der Strafe des Feuers. [3:190-191]

[12] Wassalam = Gruß und Wunsch beim Abschied. Man schreibt am Ende von Texten, Briefen etc. "Wassalam".

Aufrufe 7.005