Konstruktive Kritik - Das Fundament einer guten Kommunikation

Die Menschheit ist wahrlich nicht frei von Makeln. Um diese aber zu überwinden und trotzdem miteinander leben zu können bedarf es eine gute Kommunikation. Vor allem in problematischen Situationen ist dies aber gar nicht so einfach. In diesem Artikel wollen wir genau darauf eingehen und das islamische Verständnis von konstruktiver Kritik vorstellen.

Mit konstruktiver Kritik ("Tankīd", türkisch; tenkid) ist hier folgendes gemeint; auf den Fehler einer Sache hinweisen, die Makel aufzeigen, die Fehltritte in einer Rede aussortieren und das Tugendhafte, also das Löbliche dieser Rede hervorheben.
Kritik kann auch folgendermaßen ausgelegt werden; eine Person, ein Produkt, ein Thema etc. zu analysieren, mit dem Zweck positives und negatives zu veranschaulichen.

Offensichtlich ist Kritik ein Eifer zur Reperatur um etwas makelhaftes, mangelhaftes und bedenkliches aufzuhalten und das Richtige und Fehlerfreie hervorzuheben.
Vorrangig – sozusagen prinzipiell – muss der konstruktiven Kritik eine positive, positivierende und eine auf das Wohlwollen Gottes abgestimmte Absicht beiwohnen.
Für eine gesunde und dauerhafte zwischenmenschliche Beziehung ist eine offene und ehrliche Kommunikation einer der wichtigsten Grundbedingungen. Menschen müssen in der Lage sein, sich über Informationen, Gefühle, Ansichten und Gedanken zu verständigen, ohne sich zu zieren, im vertraulichem Umgang mit dem Gesprächspartner und sich selbst umgehend sprechen zu können und dem Zuhörer vertrauen zu können.

Eine sehr wichtige Ursache für Probleme im gesellschaftlichem Leben und im Arbeitsleben ist der Mangel an offener und ehrlicher Kommunikation, bedingt durch den Mangel an Vertrauen. Auf Menschen die die Wahrheit aussprechen reagiert man oftmals unangenehm und agressiv, wodurch sie bereuen etwas gesagt zu haben oder noch weiteres zu sagen.
Durch die Sorgen hiervor, meiden Menschen dann eine offene und ehrliche Kommunikation und zieren sich, das Wahre auszusprechen. 

Zweifelsohne gibt es verschiedene Formen, Arten und Maße der Kritik, die verschieden wirken. Eine destruktive also verletzende Kritik die auf die Eigenarten einer Person abzielt, sie in Gegenwart anderer verletzt, sie plötzlich vor anderen zum Erstarren bringt, sie ihrer Hoffnungen, Motivation und Eifer beraubt und erschöpft, ist im Grunde genommen eine Art böswilliger Angriff. 
Eine Kritik mit der Absicht zu verletzen, zu zerstören und zu erschöpfen, wandelt sich zu einem aggressivem Verhalten und startet mutmaßlich Streitigkeiten, die sich immer weiter hochschaukeln.
Wahrlich konstruktive Kritik ist eine Form von Kommunikation zwischen wahrhaftigen Freunden und Partnern, die wegweisend, unterstützend, motivierend, inspirierend, aufbauend und positivierend sein sollte.
Das Verständnis von einer zwischenmenschlichen Beziehung, die Raum für solch eine Kommunikation ermöglicht, hängt mit einer gesunden Diskussionskultur zusammen.

Kritik muss vor dem Hintergrund getätigt werden, dass sie zwischenmenschliche Beziehungen aufbaut, repariert und um ihr Fortwähren bemüht ist. Gleichermaßen muss die Kritik (für den Zuhörer) richtungsweisende, unterstützende und verbessernde Aussagen und Empfehlungen mit guter Absicht beinhalten, denen man mit Geduld und Einsicht zuhört, damit sie eine Selbstreflexion und eine Entwicklung oder einen Wandel auslösen können. In diesem Sinne ist es sekundär wer kritisiert oder wer kritisiert wird, primär ist das Thema, die Angelegenheit oder die Sachlage die im Rahmen der konstruktiven Kritik angesprochen werden muss.

Damit Kritik also tatsächlich konstruktiv wird, muss sie angelehnt an Verständnis, Geduld, Empathie, Respekt und Höflichkeit sein und Gedanken und Themen dieser Kritik sollten sich auf diesen Werten fußen. Eine Kritik die auf eine Person oder auf die Eigenarten/das private Leben einer Person abzielt, hat oftmals die Qualität einer Lästerei, einer Beschuldigung, einer Anklage, eines Angriffes, einer emotionalen Misshandlung und ähnlich Verwerflichem, dies ist zu keiner Zeit und unter keinen Umständen akzeptabel.

Worauf muss man beim Kritisieren achten? Wer kann kritisieren und wie kann er das?

Mit dem grundlegendem Prinzip, nicht allzu persönlich zu werden, kann man manchmal eine Person unter Umständen auf persönlicher Ebene kritisieren oder sie darauf hinweisen, wenn sie anderen mehr durch die Persönlichkeit und dem personellem Status schadet, als etwa durch ihr Gedankengut.

Wie auch immer der weltliche Status einer Person aussehen mag, wenn ihr Gedankengut und ihre Äußerungen nicht vereinbar sind mit der Lehre des Islam und den islamischen Glaubenswahrheiten, so müsste man die Fehltritte in diesem Gedankengut anschaulich machen.

Das Maß an Kritik sollte sich am normalerweise vorhandenem Respekt und der Zuneigung zwischen dem Kritiker und dem Kritisiertem orientieren und diese nicht verletzen. So wie dieses Maß in familiären Kreisen gilt, so gilt dies gleichermaßen auch für fremde Personen. Demzufolge sollte ein Sohn seinen Vater, ein Schüler seinen Lehrer, ein kleiner Bruder seinen großen Bruder etc. mit äußerster Vorsicht (vor allem in der Wortwahl) kritisieren. So bleibt zu sagen dass wenn unser einer das Bedürfnis verspürt unbedingt solch große Persönlichkeiten wie Imam al-Ġazzālī  oder Imam Abū Ḥanīfa kritisieren zu müssen, dann sollte dies zumindest in einem respektvollem Rahmen geschehen und diesen nicht überschreiten.

Dass Überzeichnen eines Fehlers oder Makels und das Ignorieren aller sonstigen positiven Aspekte hierbei, zeugt nicht von einer konstruktiven Kritik, sondern viel mehr von einer gehässigen Kritik.

Bei der Kritik einer Person dessen Blick von Neid, Fremdbezeichnungen, Argwohn und ähnlich negativen Gefühlen geprägt ist, lässt sich in der Regel das Wohlwollen Gottes nicht erkennen. 

Gedanken wie etwa, seinen Gegenüber ins Schwanken zu bringen, zu beweisen dass man eine große Persönlichkeit kritisieren kann, im öffentlichen Raum eine neue Mission anzupreisen oder Berühmtheit erlangen zu wollen sind Elemente die man im Rahmen einer gewisshaften, wissenschaftlichen, empathischen und reinherzigen Kritik vermeiden sollte. 

Jemand der Kritik ausüben will, muss seine informativen Quellen überprüfen. Die Kritik einer Person, die über keine zuverlässige Quelle verfügt, ist dazu bestimmt das Ziel nicht zu erreichen.
Der Qurʾān sagt hierzu folgendes:

O die ihr glaubt, wenn ein Frevler zu euch mit einer Kunde kommt, dann schafft Klarheit, damit ihr (nicht einige) Leute in Unwissenheit (mit einer Anschuldigung) trefft und dann über das, was ihr getan habt, Reue empfinden werdet. (Sura al-Ḥuǧurāt 6)
 

Denn die kritisierte Person kann zum Opfer von Intrigen/Lügen geworden sein, ihre Rede könnte aus dem Kontext gerissen worden sein oder sie könnte zumindest falsch verstanden worden sein. Somit müsste man bei zweideutigen trügerischen Quellen äußerst vorsichtig sein, man sollte sich daran erinnern, dass die Informationen hier verfälscht sein könnten.
Ein Groll oder ein Hass den man gegen eine Gruppe hegt, darf nicht verhindern dass man diese gewissenhaft, im Maße und rechtens behandelt.  Dementsprechend muss die Kritik rechtens sein und sich darum bemühen das Recht (innerhalb dieser Sachlage) darzulegen, die Kritik sollte nicht auf Unrecht und persönlichen Profit begründet werden. (Siehe Sura al-Māʾida, 8)
Kritik sollte aufbauend sein. Eine Kritik die dies nicht ist, gleicht meistens einem Schimpfen oder einer Streitigkeit. Sofern die geäußerte Kritik verletzend auf die Mitmenschen wirkt öffnet man Tür und Tor zu strittigen Auseinandersetzungen. Personen in einem Streit werden mit allen Mitteln versuchen ihrem Gegenüber entsprechend zu antworten. Der Qurʾān schildert bei der Beschreibung der Charakterzüge einer streitsüchtigen Person, wie sinnlos eine Auseinandersetzung ist, sofern man über keinerlei Art Dokument oder anderweitige Information verfügt, welches (für die Sachlage) aufklärend und wegweisend ist. (Siehe Sura al-Ḥaǧǧ 3,8).
Die Person die gerade Kritik ausübt, muss dies in dem Moment einstellen, in der die Bezugsperson anfängt, die Sachlage persönlich wahrzunehmen und anfängt sich zu verteidigen.

Es entspricht der prophetischen Tugend und Verhaltensweise, die menschliche Psychologie beachtend, seine Kritik so zu gestalten, dass die Bezugsperson, die nicht namentlich erwähnt wird aus der Kritik das Nötige für sich entnimmt und das Problem beseitigt.

Man sollte seine Kritik aufbauend formulieren, dabei sein Gegenüber nicht entkräften und vertreiben, sondern sich ihnen mit einem attraktiven/annähernden Wortlaut der gewinnbringend für sie ist nähern.
Das Einbinden von Körpersprache, wörtlicher Rede und dem Gewissen ist ein Teil dieses (oben intendierten) Wortlautes. Der Qurʾān bezeugt, dass der Prophet Muhammad den Gläubigen gegenüber in seiner Kritik sanftmütig war. (Siehe Sura Āl-i ʿImrān 159)

Kritik darf nicht verwechselt werden mit Erniedrigung, Beleidigung, hämischem Belächeln oder Angriffe auf die Persönlichkeit. Je mehr die Kritik aufrichtig und ehrlich gemeint ist, oder anders ausgedrückt, je mehr die Kritik sich darum bemüht dem Wohlwollen Gottes würdig zu sein, desto produktiver wird sie. Die kritisierte Person muss die gute Absicht des Kritikers verstehen und ihre Aufrichtigkeit erkennen. Anderenfalls kann die kritisierte Person eine defensive Position einnehmen. Der Qurʾān akzeptiert die Götzen von Gotteslästerern keinesfalls, nicht mal anteilhaft haben sie in ihrem Denken recht. Der Qurʾān schildert bei jeder Gelegenheit die Nichtigkeit von Götzen die außerhalb Gottes vergöttlicht werden. Der Qurʾān beschimpft sie allerdings zu keiner Zeit und verbietet dies auch. (Siehe Sura al-Anʿām 108).

Aus der Sicht des Kritisierten ergibt sich folgendes;

Er darf sich nicht an der Kritik stören. Leute mit einem gesundem Selbstvertrauen stören sich nicht an der Kritik sondern es sagt ihnen zu. Denn hieraus können vielerlei Nutzen/Gewinn resultieren. Oftmals können zahllose Missverständnisse durch die richtige Kritik auferlegt und offen gelegt werden und hieraus können neue Freundschaften erwachsen.

Die kritisierte Person muss, wie auch immer der Wortlaut des Kritikers aussehen mag, sich auf das Thema fokussieren, wenn sie denn nach dem was richtig ist sucht. Wenn man sich aber mit der Person des Kritikers aufhält wird man das eigentliche Thema verfehlen und den Anstieg/Ausbildung seines Glaubens verhindert haben.

Man kritisiert nicht einzig jemand anderen. Die Selbstrikitik/Reflexion einer Person ist auch notwendig. Man sollte also als sein eigener Kritiker auftreten und sich selbst überprüfen. Dies kann auch als Gemeinde getan werden, in diesem Falle weist das auf eine Gemeinde hin, die gegenüber ihrer Befolger/Mitglieder sich selbst überprüft, Fehler feststellt und nach Wegen sucht um sie zu beseitigen. Der Qurʾān macht dabei eine außerordentliche Bemerkung und ermahnt uns dazu uns selbst nicht zu vergessen, während wir anderen Ratschläge erteilen. (Sura al-Baqara 44)

Zusammenfassend bleibt folgendes zu sagen:
1. Zunächst sollte man recherchieren, bevor man kritisiert. Die Kritik der keine Recherche vorhergeht steht unfreiwillig unter dem Zeichen von emotionalen Schwankungen.
2. Nicht die Person selbst ist Objekt der Kritik sondern die Sachlage/Haltung/Ideologie etc. So wie Kritik die direkt an die Person geht zumeist nichts bringen, pflanzt sie auch die Saat für neue Feindschaften oder einen Groll.

3. Man sollte der Gegenseite zuhören. Wenn man bei beim Kritisieren mit Vorurteilen behaftet ist und übereilt urteilt, dabei sich dann noch den Gedankengängen der anderen Seite gänzlich verschließt, trägt man zum Problem nur noch bei, geschweige denn dass man es löst.

4. Man sollte Lösungsvorschläge bzw. Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Eine Sache schlicht zu kritisieren schadet eher als dass sie nützlich ist.

5. Die Selbstkritik sollte der Kritik zuvor gehen. Jemand der sich seinen Fehlern und Schwächen bewusst ist, wird bei seiner Kritik schonungsvoller sein und mit der anderen Seite verständnisvoller umgehen. 

6. Beim Kritisieren sollte man neutral bleiben. Subjektive also parteiische Kritik steigert Korruption und nährt die Neigung zu Gewaltaktionen. Statt von separatistischer Sprache wie "wir" oder "die Anderen" Gebrauch zu machen sollte man "das Recht" und "das Richtige" als Maßstab verwenden.

7. Man muss Nutzen aus dieser Kritik ziehen. Sofern man der Kritik Gehört Gehör verleiht und diese auch verinnerlicht, führt dies zu neuen tiefergehenden Gedanken und anderen Ebenen des Denkens.

Sich in die Lage des Kritisierten zu versetzen und so zu kritisieren, dass man dabei auf das Wohlwollen Gottes abzielt, ist im religiösem Verständnis eine Form der Bekanntmachung ("Tablīġ") und gleicht somit einem Gottesdienst.  

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